Kategorie: talktalk
talktalk
Serie christianblau2003
Christian Blaus Biopolitik: YEO-MAN, RESPECT!!!
von Stevie Schmiedel
Photographie oder Malerei? Christian Blaus Sand-Technik erzielt einen
Effekt, den man im Sinne des Philosophen Gilles Deleuze Affekt nennen
könnte: das Verwischen von zwei sich widersprechendenTechniken
bewirkt ein Gefühl der Hypnose.
Sand wird auf Juteleinwand gewischt, mit Entwickler bestrichen.
Auf diese rauhe Landschaft wirdein Dia projeziert.
Das Ganze wird in einer eigenen Wannenkreation aufwendig fixiert,
Rohre und Blumenkästen errinnern an einen urbanen Hinterhof.
Die fertigen Images sehen fast aus wie gedruckt, aber nur fast: hier und
da sind Konturen leicht verzerrt. Natur trifft Technik, Self-made statt
gekauftes Fotopapier, und diese Gegensätze verbinden sich zu etwas,
das einen verwirrt verharren läßt. Die Bilder zeigen Rapper mit
Sonnenbrillen und coolen Posen, es könnten MTV-Stills sein. Eminem
trägt seine Mütze tief im Gesicht und Missy Elliots Faust zeigt uns den
Finger. Sie sind untertitelt mit Text-Auszügen, die wie Rap-Zeilen aus-
sehen, aber fremd klingen. Sie passen nicht, denn sie sind Michel
Foucaults 'Archäologie des Wissens' entnommen:
Begriffe einer intellektuellen Hochkultur, die Puff Daddy sicherlich
nie slammen würde. Wieder Gegensätze, die zusammengefügt einen
Sinn ergeben, den man nicht zuordnen kann, einen aber trotzdem
ansprechen.
Foucault ist einer der 'Säulenheiligen', sagt Christian Blau, die ein
Künstler zitieren können muss in den heiligen Tempeln der Galerien.
'Archäologie des Wissens' hat er nur überflogen und versucht, sich
durch Sekundärliteratur anzueignen. Und deshalb kann er nicht wirklich
mitmachen bei den Wortgefechten der Intellektuellen, der subversiven
Minorität. Deren Werke gelten deshalb als politisch, weil sie keiner versteht,
und sie sich in der Schwebe halten zwischen ironischer Popkultur und
sprachphilosophischen Zitaten.
ChristianBlau ist direkt: der Wort-Dschungel der intellektuellen
Künstlergemeinde ist ebenso 'dick', so phallisch und ausgrenzend
wie die Hip-Hop Mafia: Kein Unterschied zwischen schwarzen Brillen-
gestellen und schwarzen Sonnenbrillen, hinter beiden verstecken sich
kleine Fische, die mal ganz den Dicken machen wollen.
Hip-Hop entwickelte sich aus schwarzen Sprechgesängen wie Calypso
und Soka, afro-amerikanische Musik, die in Jamaica zum Reaggae,
in der Bronx erst viel später zum Hip-Hop wurden. Die Sprache der
Ausgegrenzten erreichte, dank MTV und Motown, in den letzten
Jahrzehnten den Mainstream.
Zelebriert wird - auch in den Kulturwissenschaften - ihr Sieg gegen die
Hochkultur, den sie mit ihrer eigenen Sprache, mit den Geschichten
aus den Ghettos, im Kampf gegen Ausgrenzung und Rassismus
erringen konnten. Nun, so zeigen Blaus Bilder, hat sich etwas 'breit'
gemacht, was man wegen seiner politischen Herkunft als unterdrückte
Minorität nicht kritisieren darf. Genauso wie die Sprache der links-
intellektuellen Künstler und Kunstkritiker, die eine komplexe und
subversive Politik ausdrücken soll, aber nur von einer ausgrenzenden
Minorität verstanden wird.
In 'Archäologie des Wissens', mehr noch aber in seinem späteren
'Wille zum Wissen' hat Foucault dargestellt, daß wir Machtstrukturen
nicht entkommen können, dass sie unsere Psyche und unsere
Widerstände gegen sie fortwährend produzieren. Gegenreaktionen, so
wie Blaus Protest, sind somit nicht als Aktionen selbstständiger
Agenten zu sehen, die ausserhalb der Macht stehen. Sie sind in eine
Machtstruktur eingebettet, die sie nur verschieben, nicht aber verändern
können. And let's face it: Christian Blau würde auch gerne 'mit-slammen'
und Foucaults Sprache fließend von sich geben. Die Normalisierungs-
praktiken, in diesem Fall ein Zusammenspiel von Medien, Kultur-
behörden, Private Sponsoring und Kunsthochschulen, bestimmen was
Trend ist, und somit, wer Macht hat. Dem folgt, logisch, das der
Rebellende schon vorgezeichnet ist: als Beispiel erklärt Foucault in
'Wille zum Wissen', wie eine zweigeschlechtliche Heteronormativität
eine homosexuelle Subkultur produziert, die selbst gerne Norm,
anerkannt und somit phallisch wäre. Eine Foucault'sche Genealogie
zielt darauf ab, diese Zusammenhänge darzustellen, Machststrukturen
aufzudecken ohne ein 'Außen' zu suggestieren, das eine Alternative
darstellen könnte. Für Foucault gibt es nur das Darstellen des
komplexen Zusammenwirkens von Normativitätsdiskursen; dieses
Aufdecken an sich kann Verschiebungen bewirken und prägt somit
das, wofür Foucault steht: Biopolitik.
Blaus Arbeiten zeigen, wie als Gegensätze produziert wird, was
eigentlich zusammengehört. Anonyme Technik und Self-made bzw.
Natur und Kultur liegen in seiner Kunst genauso eng beieinander wie
Macht und Widerstand. Das rauhe Gewebe seiner Leinwände entblößt,
das Wunder der Technik mit natürlichen Materialien selbst herzustellen
sind. Er entblößt sich selbst als einer, der dort mitreden will, so Sinn
geschaffen wird, während er die 'Dicken' kritisiert. In Foucault'schem
Sinne macht das Sinn. Das wir dabei trotzdem die elitäre Sprache der
'Säulenheiligen' hinterfragen können, genauso wie die aktuelle
politische Relevanz von Hip Hop, schließt diese Gleichzeitigkeit nicht
aus. Im Gegenteil. Gilles Deleuze, dessen frühe Arbeiten Foucault
begleiteten, benutzt Begriffe wie den Affekt oder das Image-Temps um
Effekten, wie Blaus Werk sie erzielt, eine eigene Politik zuzuschreiben.
Momente, in denen man ein 'Dazwischen' wahrnimmt in dem Gegen-
sätze vereint werden - und nur wirkliche Künstler, so Deleuze, können
solche Momente hervorbringen -, zeigen einem wirkliche Gleichzeitig-
keit, in der es nicht nur schwarz oder weiß, sondern eine unendliche
Vielzahl an Wahrheiten geben könnte, die sich immer wieder gegen-
einander verschieben. In Blaus Arbeit werden uns, durch unser
hypnotisches Einbeziehen, diese Gleichzeitigkeiten verständlich, ohne
dass wir uns durch Foucault oder Deleuze qüalen müssen.
Das verdient Respekt, mindestens den der Säulenheiligen.
Und ermöglicht es Blau, enstpannt auszudrücken: Let's talk about it, und
nehmt dazu bitte diese dämlichen Brillen ab.
stevie schmiedel 11/05/03
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